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Bildungssystem
Schule

Die Schule der Zukunft oder warum das Rad schon lange erfunden ist

Ein Gastbeitrag des Bildungsvordenkers und Autors Andreas Salcher

Jede:r fünfte 15-Jährige kann nach neun Jahren (!) Pflichtschule nicht sinnerfassend lesen und versagt an einfachsten Mathematikaufgaben. Wenn Schülerinnen und Schüler nach ihrem Schulabschluss die Fläche eines Rechtecks nicht ausrechnen können, dann stimmt etwas nicht. Universitätsprofessor:innen beklagen sich über das teilweise katastrophale Niveau von Studienanfänger:innen. Die Ursachen dafür liegen sicher nicht darin, dass Generationen von Schüler:innen zu „blöd“ für das Schulsystem sind oder diese Dummheit geerbt haben von ihren Eltern, die in ihrer eigenen Schulzeit unter den gleichen Problemen zu leiden hatten wie heute ihre Kinder.

Die Fakten, die seit dem Erscheinen meines Buches „Der talentierte Schüler und seine Feinde“ im Jahr 2008 das Versagen unseres Schulsystems dokumentieren, sind bis heute fast unverändert, trotz aller teuren Maßnahmen wie der Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen, der Einführung der Neuen Mittelschule (NMS) mit verpflichtend zwei Lehrer:innen in den Hauptgegenständen, der Schulautonomie, den Bildungsstandards, der Zentralmatura usw. Ein öffentliches Schulsystem, das seinen Schüler:innen in neun Jahren Pflichtschule nicht Lesen, Schreiben und die Grundrechnungsarten vermitteln kann, hat sich selbst aufgegeben.

Dabei sind die Herausforderungen gewaltig. Mehr als jede:r zweite Volksschüler:in in Wien spricht nicht mehr Deutsch als Umgangssprache, in den NMS liegt dieser Anteil bei 77 Prozent! Dabei handelt es sich zum Großteil um in Österreich geborene Kinder, die in den Kindergarten und ein Jahr in die Vorschule gegangen sind und trotzdem fast nicht Deutsch können. Österreich ist eines der wenigen OECD-Länder, wo die Kinder der dritten Migrationsgeneration die Landessprache schlechter beherrschen als die der zweiten. Andererseits erbringen Schülerinnen und Schüler aus Osteuropa und Asien teilweise bessere Leistungen als österreichische Kinder. Es geht also nicht um „Migranten versus österreichische Kinder“, sondern um das Auseinanderklaffen von gebildeten und bildungsfernen Eltern. Dieser Graben ist auch daran erkennbar, dass gerade bildungsaffine Migrantinnen und Migranten ihre Kinder zunehmend in private und nicht in öffentliche Schulen geben.

Die Probleme wurden jahrelang verdrängt oder aus falsch verstandener politischer Korrektheit schöngeredet. Statt tabulos die Ursachen dieser Fehlentwicklungen zu analysieren, wurde über das Heil oder Unheil der Gesamtschule der Zehn- bis 14-Jährigen gestritten. Dabei wird übersehen, dass die Allgemeinbildende Höhere Schule (AHS) im städtischen Bereich längst die Gesamtschule für die Bildungsschichten ist. Über 50 Prozent der Wiener Schülerinnen und Schüler gehen in eine AHS-Unterstufe, in Bezirken wie dem ersten oder dem 13. Bezirk sind es über 80 Prozent. Die Mittelschule wird für die Bildungsfernen, darunter viele Migrantinnen und Migranten, immer mehr zum B-Zug der ehemaligen Hauptschule. Eine Entwicklung, die sich auch auf den ländlichen Raum auszuweiten droht, wo die Eltern der Bildungsschichten alles tun, um ihr Kind in eine oft weit entfernte AHS zu schicken. Das heißt, während linke und konservative Ideolog:innen noch immer den Religionskrieg über die Gesamtschule führen, ist diese längst verwirklicht – in der schlechtmöglichsten Form: nicht leistungsorientiert und sozial diskriminierend. Zynisch ist es aber auch, von Lehrerinnen und Lehrern zu verlangen, die individuellen Talente in einer Klasse mit 25 Schüler:innen zu erkennen und zu fördern, von denen ein Großteil nicht die deutsche Sprache beherrscht und bei denen es zu Hause kein einziges Buch gibt.

Andreas Salcher ist Mitbegründer der „Sir Karl Popper Schule“ in Wien

Der Zusammenhang zwischen Talent und Glück

Dass es auch anders geht, beweist Kanada, wie Österreich ein Einwanderungsland, wenngleich mit einer wesentlich klügeren Migrationspolitik. In Kanada sprechen viele Kinder von Einwander:innen nach Abschluss ihrer Schulzeit besser Englisch als die in Kanada geborenen Sprösslinge. Im französischsprachigen Teil des Landes ist diese Zahl bei Weitem schlechter, was einmal mehr zeigt, wie entscheidend das System ist. Vom legendären Management-Denker Peter Drucker stammt das Zitat: „Wann immer Sie einen hervorragenden Menschen gegen ein schlechtes System antreten lassen, wird stets das schlechte System gewinnen.“

Absolut gleiche Chancen in einer offenen Gesellschaft halte ich für eine Illusion, weil Kinder aus funktionierenden, gebildeten Familien immer einen Startvorteil haben werden. Das erreichbare Ziel, das sich ein Schulsystem setzen kann, lautet Chancengerechtigkeit. Das bedeutet, dass soziale Startnachteile möglichst ausgeglichen und nicht noch verstärkt werden.  Dafür würde es reichen, ein Prinzip in unserer Verfassung zu verankern und es damit von jedem Bürger und jeder Bürgerin einklagbar zu machen: Jedes Kind hat ein Recht darauf, dass seine Talente in der Schule maximal gefördert werden. Wie das geht? Maria Montessori und Helen Parkhurst haben das bereits vor über 100 Jahren vorgemacht und heute gibt es viele Schulen, die das praktisch umsetzen: Nicht zentrale Lehrpläne über Kinder stülpen, sondern individuelle Lehrpfade für jedes Kind entwickeln. Einheitsgrößen funktionieren bei Socken, nicht bei Kindern.

Der wichtigste Grund, warum wir uns ehrlich mit unseren eigenen Talenten und jenen unserer Kinder auseinandersetzen sollten, ist das persönliche Glück. Für ein erfülltes Leben brauchen wir das Gefühl, dass unsere Talente wertvoll sind und anerkannt werden. Voraussetzung dafür ist, dass diese Begabungen richtig erkannt und wir nicht zum Opfer von Täuschungen unserer Eltern, Lehrer:innen, Vorgesetzten oder von uns selbst werden.

Die Kluft zwischen dem, wie wir heute die Begabungen unserer Kinder erkennen und fördern könnten, und dem, wie wir in der Schule tatsächlich damit umgehen, ist riesig. Das führt zu Fehlurteilen und Gleichgültigkeit, die falsche Weichenstellungen für junge Menschen zur Folge haben.

Das Michelangelo-Prinzip geht uns alle an

Die Österreichischen sind nicht Weltklasse. Damit unsere Schulen großartig werden können, muss das Schulthema höchste nationale Priorität bekommen. Die finanziellen Mittel dazu sind in einem der reichsten Länder der Welt vorhanden. Wenn wir das Ziel, die besten Schulen der Welt zu schaffen, nicht erreichen, dann werden wir auch bald nicht mehr zu den reichsten Ländern der Welt gehören.

Das notwendige Wissen kann man von den besten Schulen im In- und Ausland holen. Die Schule der Zukunft lebt dort schon. Es gibt kein Konzeptdefizit, es besteht ein Handlungsdefizit. Und es herrscht viel Angst, die beschriebenen Tabus endlich anzugreifen.

Die vielen Leuchtturmschulen zeigen klar, dass Lernen mit Freude und ausgezeichneten Lernleistungen möglich ist. Es gibt nicht ein richtiges Modell der Schule der Zukunft, genauso wenig wie es nur eine optimale Art gibt, ein Unternehmen zu führen oder ein Kind zu erziehen. Es existiert aber eine Vielzahl von lebendigen Schulen, die zeigen, wie man das vorhandene Wissen erfolgreich umsetzen kann, zum Nutzen der talentierten Schülerinnen und Schüler, der engagierten Lehrerinnen und Lehrer und der verantwortungsvollen Eltern. Viele Wege führen zur Schule der Zukunft, eines haben diese Wege gemeinsam: Es geht darum, die Kluft zwischen den Schulen, wie sie heute sind, und den Schulen, wie sie sein könnten, kleiner zu machen. Das bedeutet leidenschaftliches und hartnäckiges Engagement über lange Zeiträume. Auf diesem Weg finden sich weder Abkürzungen noch magische Erfolgsrezepte.

„Die größte Gefahr für die meisten von uns ist nicht, dass wir hohe Ziele anstreben und sie verfehlen, sondern dass wir uns zu niedrige setzen und sie erreichen.“

Michelangelo

Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestsellerautor und ein kritischer Vordenker in Bildungsthemen. Er ist Mitbegründer der „Sir Karl Popper Schule“ für besonders begabte Kinder. Mit neun #1 Bestsellern und über 250.000 verkauften Büchern gilt er als einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren von Österreich. Im Oktober 2023 erschien sein aktuelles Buch mit dem Titel „Unsere neue beste Freundin, die Zukunft“.


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