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Bildungssystem

Reality-Check: Brennpunkt, Schule?

Der qualitative Forschungsbericht zeigt aktuelle Herausforderungen und Chancen für das Schulsystem


Autorin: Julia Kernbichler, Leitung Kommunikation & Marketing


Zwischen 11. und 22. März 2024 führte das Team der MEGA Bildungsstiftung neun Fokusgruppengespräche mit Lehrkräften aus Volksschulen, Mittelschulen, Polytechnischen Schulen, Berufsschulen und der AHS-Unterstufe – 59 Lehrkräfte und Schulleitungen aus ganz Österreich wurden darüber befragt, wo es im Pflichtschulsystem aktuell am meisten brennt. Die Gespräche liefern wertvolle Einblicke und konkrete Empfehlungen zur Verbesserung des Schulsystems.

Unser Ziel war es, damit die Schulrealitäten hautnah zu erfassen und den wahren Expertinnen und Experten im Klassenzimmer zuzuhören: Den Lehrerinnen und Lehrern. Bildung geht uns alle an, denn Schulen sind nicht nur Lernorte, sondern auch Spiegel unserer Gesellschaft. Der Bericht enthüllt die aktuellen Herausforderungen im Pflichtschulbereich: psychische Gesundheit, digitale Medien sowie gravierende Defizite bei finanziellen, räumlichen und personellen Ressourcen. Diese Erkenntnisse sind ein Weckruf für dringend notwendige Reformen

Hauptthemen: Lehrer:innenbild, Mental Health, Digitale Bildung

Das waren die Themen, die Schul- und Bundesländerübergreifend Thema waren:

1. Image und Ausbildung von Lehrer:innen
Lehrkräfte fühlen sich in der Öffentlichkeit nicht ausreichend wertgeschätzt. Sie sehen sich als wichtige Begleiter:innen der Schüler:innen, die viel mehr leisten, als “nur” Wissen zu vermitteln. Sie wünschen sich eine praxisorientierte Ausbildung, um bestmöglich auf die Heterogenität im Klassenzimmer vorbereitet zu sein und den Lehrer:innenmangel zu bekämpfen. Darüber hinaus wird vor allem das Fehlen eines eigenen Budgettopfs für die Mehrbezahlung von besonders engagierten Lehrpersonen oder Teambuilding-Maßnahmen kritisiert.

Zitate der Befragten:
„Wir kompensieren gesellschaftliches und elterliches Versagen durch unsere Arbeit – wir sind viel mehr als Lehrerinnen oder Lehrer.“
„Es braucht mehr als ein Blatt Papier vom Ministerium, wo Dank und Anerkennung oben steht.“
„Abseits von Fachlichem hat man von der Uni wenig pädagogisch Wertvolles mitbekommen.“

2. Mental Health und psychische Gesundheit
Die Befragten identifizieren einen hohen Bedarf an zusätzlicher Unterstützung durch Schulsozialarbeiter:innen und -psycholog:innen, um den steigenden psychischen Belastungen bei Schüler:innen und Lehrkräften zu begegnen. Der Ruf nach multiprofessionellen Teams an Schulen wird laut, denn die Lehrer:innen fühlen sich zunehmend mit den Sorgen und Problemen der Schüler:innen alleine gelassen. Das bisherige Angebot an Schulsozialarbeiter:innen und Schulpsycholog:innen deckt bei Weitem nicht den Bedarf ab, der seit 2019 kontinuierlich steigt.

Zitate der Befragten:
„Es gibt kein Kind in meiner Klasse, das sorgenlos ist“
„Wir stellen uns hinten an, aber kommen selbst an unsere Grenzen“
„In allen anderen Bereichen, wo mit Jugendlichen gearbeitet wird, ist es selbstverständlich, dass eine Supervision gemacht wird – warum passiert das nicht im Lehrbereich?“

3. Digitalisierung und Social Media
In engem Zusammenhang werden auch die Themen Digitalisierung und Social Media genannt. Lehrer:innen sehen die Digitalisierung in der Schule zunehmend kritisch, sie berichten von Handysucht und kürzeren Aufmerksamkeitsspannen, sowie fehlendem Selbstwert der Schüler:innen. Ein zentrales Problem in diesem Kontext laut der Befragten: Es gäbe einen klaren Unterschied zwischen der Schulung von Digitalisierung wie etwa IT-Programmen – um auf den Beruf vorzubereiten – und Medienerziehung bzw. Medienkompetenz. Für Letzteres fühlen sich die Lehrer:innen weder ausgebildet noch zuständig, dennoch wird die Verantwortung dafür oft von den Eltern auf die Schule abgeschoben.

Zitate der Befragten:
„Viele Eltern geben Kindern uneingeschränkten Zugang zum Internet mit in die Hosentasche und kümmern sich nicht weiter drum.“
„Schülerinnen und Schüler haben zwar ein Handy, kennen aber nur Instagram, Snapchat, TikTok und YouTube – ein Mailanhang wird zur Herausforderung.“

4. Chancen-Fairness im Bildungssystem
Im Kontext von Chancen-Fairness im Bildungssystem wird diskutiert, wie Schule Ungleichheiten aufgrund von sozio-ökonomischer Benachteiligung und/oder Migrationsbiographie ausgleichen kann. Hier bräuchte es laut der befragten Lehrpersonen gezielte und individuelle (Früh-)Fördermaßnahmen, eine stärkere Berücksichtigung im Lehrplan und geschultes Personal, etwa im Umgang mit Kindern mit Deutsch als Zweitsprache. Das aktuelle System der Deutschförderklassen wird kritisch betrachtet und eher als Nachteil hinsichtlich der Integration der Kinder und Jugendlichen gesehen. Doch vor allem sehen die Befragten in der Elternarbeit eine wesentliche Ressource, um soziale Ungleichheiten auszugleichen. Es gehe hier um mehr und regelmäßige Vernetzungs- und Bildungsangebote für Eltern in Zusammenarbeit mit der Schule, um Eltern stärker in den Schulalltag der Kinder zu integrieren – über das Mitteilungsheft und den Elternsprechtag hinaus.

Zitate der Befragten:
„Gerade bei Schülerinnen und Schülern, die mit vielen Schwierigkeiten und Problemen konfrontiert sind, gestaltet sich diese Kontaktaufnahme zu den Eltern oft schwierig oder ist überhaupt nicht vorhanden.“
„Sie kriegen keine Erziehung und Bildung mit von daheim, sondern viel Aggression, Alkoholismus und Drogenkonsum“ und die Schule ist oftmals „(…) der sicherste Platz, den sie kennen.“
„Ein Lehrer, 18 Schüler und 5 Sprachen – wie soll das gehen?“

5. Ressourcen und Schulorganisation
Auch fehlende zeitliche, personelle und räumliche Ressourcen sowie der Lehrer:innenmangel beschäftigen die Befragten. Einerseits werden mehr Stunden etwa für Betreuungslehrer:innen oder für die Förderung von Sozialkompetenzen gefördert. Andererseits wird davon gesprochen, dass nur mit Ach und Weh Personal für die Besetzung der Stellen gefunden wird. Das Fehlen von administrativen Unterstützungspersonal oder eines mittleren Managements stellt die Lehrer:innen und Schulleitungen zusätzlich vor bürokratische Herausforderungen. Es besteht außerdem dringender Bedarf an besser und modern ausgestatteten Lernräumen. Schule müsse als Sozial- und Lernraum betrachtet und geplant werden und das unter Einbeziehung der Lehrer:innen und Schüler:innen. Es brauche Freizeit- und Rückzugsräume, nutzbare Außenflächen und eine bessere Ausstattung im Lehrerzimmer. Nur so kann Lernen im 21. Jahrhundert effektiv stattfinden.

Zitate der Befragten:
„Bei uns sind alle Stellen besetzt, aber wie sehr wir hier über unsere Grenzen gehen, um die fehlenden Stellen zu kompensieren, darüber spricht niemand.“
„Ich habe manchmal das Gefühl, ich habe zwei Berufe – ich bin Sekretärin und Lehrerin.“
„Bei einem Bio-Ei muss das Hendl einen gewissen Auslauf haben, unsere Schülerinnen und Schüler haben das nicht.“
“Jede investiert rund 1.000–1.500 Euro selbst in die Ausstattung der Klasse.”

Forderungen und Wünsche an Schule 2030

Die Befragten äußerten außerdem ihre Vision und Wünsche an die Schule 2030, in den Worten eines Befragten: „Eigentlich müsste der Minister einfach mal kommen – wir wissen, was wir wollen.“

  • Kleinere Klassen für individuelle Interessenförderung
  • Mehr personelle und finanzielle Ressourcen
  • Mehr Schulautonomie (insb. Budget & Lehrplan)
  • Mehr Administrative Unterstützung / Verwaltungspersonal
  • Multiprofessionelles Teams an Schulen (Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen, Ärzt:innen)
  • Schule als Sozial- und Lernraum betrachten und planen unter Einbeziehung der Lehrer:innen und Schüler:innen
  • Gut ausgestattete Arbeitsplätze
  • Mehr Freizeitangebot an Schulen schaffen: Kooperation mit Vereinen
  • Praxisorientierte Lehramtsausbildung / Mehr verpflichtende Fortbildungen für Lehrer:innen
  • Medienkompetenz-Workshops

Die vorliegenden Ergebnisse dienen außerdem als Grundlage für den MEGA Bildungsklimaindex 2025, eine quantitative und repräsentative Befragung von österreichischen Lehrpersonen, Elementarpädagog:innen, Schüler:innen und Eltern. Der qualitative Bericht soll außerdem Brücken zwischen Schulen und außerschulischen Bildungsprojekten bauen, wie den aktuellen Top 6 Chancen-Fairness-Projekten der MEGA Million. Sie befinden sich aktuell im Auswahlprozess um 1 Million Euro Förderung von der MEGA Bildungsstiftung. Mit dabei sind Initiativen aus ganz Österreich, die im Bereich psychosoziale Gesundheit, Lernförderung und Elternarbeit tätig sind. Jede:r kann bis 26. Juni online mitbestimmen, wer davon je 200.000 Euro Förderung erhält. 

MEGA Bildungsmillion 2024 fördert Projekte im Bereich Elternbildung,
Mental Health und Lernförderung

Bereits zum fünften Mal vergibt die MEGA Bildungsstiftung die MEGA Million an innovative Bildungsprojekte. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt auf Initiativen, die zu mehr Chancen-Fairness im Bildungssystem beitragen. Die sechs Finalisten, die von einer Fachjury aus über 100 Einreichungen ausgewählt wurden, haben jeweils bereits 80.000 Euro Wachstumsförderung erhalten sowie Zugang zu Coachings und Workshops der MEGA Academy. Bis zum 26. Juni kann nun jede und jeder online mitentscheiden, welche drei Projekte als Sieger hervorgehen und insgesamt je 200.000 Euro erhalten. Mit dabei sind buntaz, Family Mentoring von younus, die Hobby Lobby, Ich & Du im Austausch der Diakonie de la Tour, Kindergartensozialarbeit von der Caritas Steiermark und dem Kib3 sowie Stark durch die Schule vom Verein Afya. Am 10. Oktober werden die Top 3 Projekte beim MEGA Live-Finale gekürt.

Hier geht’s zum Online-Voting:
https://mitmachen.megabildung.at/jetztvoten


Autorin:
Julia Kernbichler
Leitung Kommunikation & Marketing


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