MEGA x WU: Zu Besuch beim Social Entrepreneurship Center an der WU Wien
Im Interview mit Paul Rameder, Yvonne Reif, Reinhard Millner
Wo sind wir heute und wie sieht euer Arbeitsalltag aus?
YR: Wir sind hier an der Wirtschaftsuniversität Wien, am Social Entrepreneurship Center, das wiederum einer von zwei Bereichen des Kompetenzzentrums für Nonprofit Organisationen und Social Entrepreneurship ist. Von hier aus erarbeiten wir auch gemeinsam mit der MEGA Bildungsstiftung das Programm der MEGA Academy und setzen viele der darin enthaltenen Workshops auch direkt am WU Campus um.
Habt ihr auch noch andere Partner_innen neben der MEGA? Welche Projekte wickelt ihr sonst noch ab?
YR: Neben der MEGA Academy setzen wir auch weitere Capacity Building Programme um. Eines davon ist die NGO Academy, die als bereits langjähriges Programm in Zusammenarbeit mit der ERSTE Stiftung umgesetzt wird. In der NGO Academy bieten wir NGOs und Social Businesses in Zentral- und Osteuropa in unterschiedlichen Programmen Workshops zu verschiedenen Themenbereichen an, von Fundraising, über Leadership, Organisational Resilience, Social Media bis hin zu Impact Management.
PR: Mein Arbeitsalltag ist gegliedert in die drei zentralen Tätigkeitsbereiche universitärer Aufgaben: Forschung, Lehre sowie Aktivitäten mit der Community. Das bedeutet viel Austausch und Kommunikation mit Studierenden, mit der Community außerhalb der Universität, wie mit der MEGA Bildungsstiftung und anderen Praxispartnern aus der Zivilgesellschaft, aber auch viele Tätigkeiten allein vor dem Bildschirm zur Vorbereitung auf Seminaren, Lehrveranstaltungen, Planungs- und Recherchearbeit in der Konzeption, etc.
Wie konzipiert ihr so ein Programm der MEGA Academy zB.? Was war da wichtig für euch?
PR: Unser Grundsatz bei der Gestaltung solcher Programme ist, dass wir diese in enger Kooperation bzw. Partnerschaft wie jetzt z.B. mit der MEGA Bildungsstiftung entwickeln. Es ist also nichts, was nur am weißen Papier im akademischen Zirkel entwickelt wurde, sondern etwas, wofür wir uns wesentliche Fragen gestellt haben: Wer ist die Zielgruppe, was soll dort im Gesamten erreicht werden? Was sind die möglichen Zeitressourcen? Was sind Vorerfahrungen der Teilnehmer_innen? Was sind die Support-Needs? Wir versuchen das sehr nah an den Bedürfnissen der Teilnehmenden bzw. Organisationen zu entwickelt, durch viele Gespräche im Vorfeld, um ein umfangreiches Bild zu bekommen. Dann entwickeln wir einen Gesamtbogen, wie so ein Programm aussehen kann und welche Bestandteile Sinn machen und in welcher Form. Ein Teil unserer Konzeption ist auch, dass wir uns klare Ziele setzen, den Weg dorthin aber immer stark am Prozess ausrichten – abhängig von den Rückmeldungen der Teilnehmer_innen und der Kooperationspartner. Das ist es auch was uns im Alltag laufend beschäftigt.
RM: Das Schöne an der MEGA Academy ist ja auch, dass wir nicht nur klassisch am Capacity Building dran sind, also Skills und Wissen, sondern, dass es auch diesen Netzwerk-Charakter hat. Wir haben jetzt ein Jahr überwiegend digitale MEGA Academy hinter uns und können endlich auch physische Angebote starten. Und da ist es natürlich auch schön, wenn man sieht, dass in den Pausen Gespräche entstehen und sich die Organisationen vernetzen. Da freuen wir uns, dass hier auch Wissen innerhalb der Gruppen generiert wird.
Thema Bildung und Bildungssystem: Wie stellt ihr eure Verbindung dazu her? Warum beschäftigt Ihr Euch damit am WU Kompetenzzentrum?
PR: Mein grundsätzlicher Zugang ist, dass wir uns ganz, ganz viel mit Bildung beschäftigen, weil wir uns laufend mit der Frage beschäftigt, wie wir das, was wir in der Forschung erkennen, in BiIdungsangebote übertragen können. Also die Frage: Wie kommt Wissen dorthin wo es gebraucht wird? Die Third Mission der Universität ernst zu nehmen, bedeutet das nicht nur hier drinnen zu machen, sondern es auch hinaus in die Gesellschaft zu tragen, und unseren Teil dazu beitragen können mit sozialen Innovationen auseinander und haben viel Erfahrung in der Entwicklung von Programmen, die Führungskräfte und Träger von sozialen Innovationen bei ihren Wachstumsplänen unterstützen.
YR: Gerade im Bildungsbereich und bei der MEGA geht’s auch viel um Chancen-Fairness und Wirtschaftskompetenz und da braucht es soziale Innovation, die auch passiert, wie wir an den MEGA Bildungsinitiativen sehen. Soziale Innovationen und deren nachhaltige Weiterentwicklung sind auch genau das, was uns am Kompetenzzentrum beschäftigt und antreibt und wo wir dann auch unterstützen und begleiten können.
PR: Was uns auch ausmacht sind ja die vielen Kontakte in die NonProfit Organisationen Welt und wenn man sich die (Bildungs-)Projekte ansieht, dann sind die meisten auch als Nonprofit Organisationen organisiert. Dazu braucht es nicht nur Wissen zu Bildung per se, sondern auch auf der Wachstums-, Organisations- und Managementebene.
RM: Zudem sind das alles sehr engagierte Einzelpersonen, Initiativen, Organisationen, mit denen wir gerne arbeiten, weil unser Background auch im Bereich von Management- und Organisationsfragen ist und uns insofern besonders die Ebene der Organisation aus professioneller Hinsicht interessiert. Zum anderen sind das auch zum Teil sozialunternehmerische Initiativen, die auch versuchen ein Modell zu entwickeln, das auch organisatorisch längerfristig und nachhaltig angelegt ist und damit sind wir sehr stark zum Thema Social Entrepreneurship und soziale Innovation in ganz unterschiedlichen Feldern verbunden.
Bei der MEGA Academy gibt es ja eine Reihe von Expert_innen, die die MEGA Projekte begleiten und beraten. Wie werden die ausgesucht, Reinhard?
RM: Wir haben eine Reihe von Programmen, die wir in den letzten Jahren entwickelt haben. Daraus ist ein Pool an Expert_innen aus ganz unterschiedlichen Feldern entstanden, zum einen aus der Wissenschaft und der entsprechenden Praxis, zum anderen aus dem Beratungsbereich des jeweiligen Feldes. Die sind auch erprobt und auf die können wir zurückgreifen, ebenso wie auf diverse Netzwerke. Dann versuchen wir aber gegebenenfalls noch zusätzliche Personen zu finden, die sich mit ihrer Expertise konkret an den Anforderungen und Bedarfen der Initiativen orientieren.
Yvonne, du kennst ja die Projekte der MEGA jetzt schon recht gut? Gab es da etwas Besonderes, was dir im Kopf geblieben ist, was dich überrascht/besonders gefordert hat in der Arbeit mit ihnen und ihrer Entwicklung?
YR: Besonders inspirierend ist es, den Enthusiasmus der Projekte bei informellen Gesprächen mitzuerleben. Ich finde es toll zu sehen, dass hier auch hinsichtlich des jeweiligen Entwicklungsstands sehr unterschiedliche Projekte zu sehen sind. Ich wünsche mir, dass sie alle am Ende so weit in ihrer Entwicklung sind, dass sie in der einen oder anderen Form ihren Platz direkt in der Bildungsstrukturen finden, denn jedes einzelne davon ist wichtig für die österreichische Bildungslandschaft.
Wenn du nach Herausforderungen fragst, dann ist das in meinem Fall die Vernetzung von sehr vielen verschiedenen Leuten miteinander. Einerseits tun wir das innerhalb der MEGA Academy in Form eines Leadership Circles und den Capacity Labs, zu denen jeweils die Führungskräfte bzw. Teammitglieder der Projekte eingeladen werden. Zum anderen vernetzten wir die Projekte auch individuell mit Expertinnen und Experten, damit sie individuelle Fragen und Themenstellungen besprechen können, die mit der Weiterentwicklung der Initiativen einhergehen. Da geht es ganz praktisch gesprochen darum, 17 Projekte mit je vier unterschiedlichen Expert_innen zusammenzubringen. Bei der Organisation dieser knapp 70 individuellen Gespräche kommen schon ein paar E-Mails zusammen. Es ist aber wirklich schön, wenn dann nach einem Fachcoaching eine begeisterte Mail kommt, weil das Gespräch hilfreich war.
Was ist eure persönliche Motivation bei eurem Tun hier?
PR: Was mich positiv stimmt ist, dass es da Leute gibt, die Innovationen vorantreiben, damit dieser starre Schulalltag, den ich vor 30 Jahren so erlebt hab, sich verändert. Bei meiner Tochter bekomme ich mit, dass es in Teilbereichen immer noch so läuft wie früher, es aber auch Bereiche gibt, wo sich etwas tut. Jedes Projekt, das sich engagiert, das dieses träge Schiff ein Stück weiter anstupst und es auf einen neuen, lernfreudigeren Kurs bringt, ist was Schönes. Unmittelbar kann ich dazu selbst wenig beitragen, außer eben auf dem indirekten Weg der MEGA Academy.
YR: Für mich ist das ähnlich und doch ein bisschen anders. Ich war an der AHS eines von drei Kindern, das nicht aus einem Akademikerhaushalt stammt und – auch wenn die Zeiten damals anders waren – und das Jammern auf hohem Niveau ist, habe ich mich oft unwohl gefühlt. Erst viel später, als ich über den Begriff des „Habitus“ gestolpert bin, ist mir aufgegangen, was da dahintersteckt, nämlich ein bestimmtes Verhalten in der Schule, mit dem man in einem Nicht-Akademikerzuhause eben nicht sozialisiert wurde. Insofern kann ich mich vorstellen, wie „anders“ sich auch Kinder aus sozial benachteiligten Familien im Schulalltag fühlen müssen. Vor diesem Hintergrund habe ich auch Wirtschaftspädagogik studiert und ich muss sagen mir liegt es – auch als Mutter von zwei Schulkindern – sehr am Herzen, dass sich in der Österreichischen Bildung etwas tut. Es tut gut zu wissen – auch wenn das Bildungssystem ein riesiges, schweres Schiff ist – dass es da Initiativen gibt, die etwas tun, wenn es auch anfangs nur klein ist. Meine Hoffnung ist, dass das etwas anstößt, was sich dann längerfristig etablieren kann.
PR: Es ist eben auch diese unmittelbare Arbeit im Leadership Circle mit den Leiter_innen der Projekte, durch die auch meine schlechten Erfahrungen in der Schule z.B. – pathetisch gesprochen – auch ein Stück weit heilen. Man redet da mit einer Lehrerin, die eben nicht so tut, wie ich es erlebt habe und mir zeigt, es geht auch anders. Die Projekte, aber auch die Personen dahinter, sind es, die mich da immer inspirieren.
Wo seht ihr die Bildungslandschaft in drei Jahren? Was erhofft ihr euch zu sehen?
YR: Ich glaube ehrlich gesagt, dass drei Jahre ein sehr kurzer Zeitraum ist, wo sich etwas verändern könnte. Es besteht aber eine kleine Hoffnung, dass, nicht zuletzt durch die Pandemie, schneller etwas passiert. Was ich mir wünschen würde, sowohl für die Kinder in der Schule als auch für die Lehrkräfte, dass in der Schule und im Zusammenhang mit Schule auch wieder Freude aufkommt. Da habe ich den Eindruck, aber vielleicht durch meinen persönlichen Konnex dazu, dass die Freude an der Schule selbst und auch am Lernen abhandengekommen ist.
PR: Würde ich auch so sehen. Da ist der ernüchternde Blick, dass es in drei Jahren nicht viel anders aussehen wird als jetzt, daher würde ich es eher in Wünschen formulieren. Was ich mir wünschen würde, ist mehr Schule. Genau das Gegenteil von dem, was in den letzten zwei Jahren der Pandemie war, sondern ein Alltag, wo die Kinder möglichst viel im Schulkontext aktiv sind. D.h. aber kein non-stop Frontalunterricht, sondern ein Ort, wo Lernen auf unterschiedlichsten Wegen und Formen möglich ist, und wo vor allem auch Möglichkeiten und Strukturen, die sensibilisiert auf das Problem der sozialen „Ungleichheit“ schauen – damit diese Ungleichheiten nicht reproduziert werden. Dass die umfassende Bildung, auch im Bereich Sport und Bewegung im Schulalltag stattfindet, dass Schule ein Ort der Bildung ist und die Schule sehr wohl Dinge ausgleicht, die die Elternhäuser zum Teil nicht erbringen können. Das bedeutet Schulen mit Ressourcen auszustatten, aber auch mit Innovationen. Manchmal braucht es ja nicht nur mehr Ressourcen, sondern auch andere soziale Praktiken, die dies ermöglichen, damit Schule eben sehr wohl Dinge ausgleichen kann – ohne diese ewig gestrige Zuständigkeitsfrage zwischen Eltern und Schule.
RM: Die Frage ist ja auch bisschen, was ist das Bildungssystem und welche Wahrnehmung hat man von Bildung? Wo findet Bildung überall statt? Es kann zum einen im formalen Bildungssystem stattfinden, aber auch außerhalb der Schule. Da finde ich die Academy und die Projekte dort sehr spannend, weil sie ganz unterschiedlich ansetzen. Innerhalb des Schulsystems, mit unterschiedlichen Zielgruppen ebenso wie außerhalb. Da braucht es bei beiden Seiten solche wichtigen Initiativen. Ob da drei Jahre jetzt einen Unterschied machen, wird man sehen. Was diese Projekte jedenfalls können, ist Modelle zu entwickeln, die idealerweise dann auch ins Bildungssystem überführt werden können oder so großgemacht werden und skaliert werden können, dass viele Schüler_innen davon auch profitieren können.
Wo siehst du hier die MEGA Projekte zb., Paul?
PR: Naja, die MEGA Projekte, vor allem die, die sich der Chancenfairness widmen und daran arbeiten, wie solche Impulse aussehen können – Beispiel Hobby Lobby: wie eine sinnvolle Freizeitgestaltung aussehen kann, wo es nicht nur um Zeitvertreib geht. Denkt man da an „Völkerball“ – um das auch als Metapher zu verwenden – gibt es die eine Art von Lehrkräften, die nur den Ball ins Feld werfen und dann herrscht dort Darwinismus. Die, die gut schießen können, schießen ab, und die, die es nicht können, werden abgeschossen. Umgedacht auf den Schulkontext, bleibt das dort so von der Volksschule hinweg bis in die Oberstufe. Das gilt es zu ändern. Da habe ich den Eindruck, dass die Schule eventuell zu wenig Bewusstsein und wohl auch nicht die Ressourcen hat, hier genau hinzuschauen, wer spielt mit wem und wie. Da macht die Vienna Hobby Lobby gute Arbeit und setzt bewusst das Augenmerk auf das Momentum der Gleichheit und Gerechtigkeit. Diesen Spirit in die Schulen zu bringen, dass wäre ein großes Ziel. Oder Teach for Austria Fellows, d.h. Studienabsolvent_innen von außerhalb der Lehramsstudien, die ihre Expertise an Schulen bringen, oder das Projekt Seitenwechsel, das ebenfalls versucht die klassische Lehrerkarriere mit Arbeitserfahrungen in der Wirtschaft anzureichern und somit Innovation ins Schulsystem zu bringen. Die generelle Frage ist, wie finden Innovationen auch ins Schulsystem hinein und werden dann dort auch auf die ein oder andere Weise übernommen.
Wenn ihr ein Social Start-Up gründen würdet, wie würde dies aussehen?
PR: Was es an Sozialen Innovationen noch braucht, sind Initiativen, die sich dem Bereich der Sport- und Bewegungskompetenzen widmen und dafür sorgen, dass Kinder und Jugendlichen, die hier Förderbedarf haben ebenfalls umfassende Unterstützung erhalten, damit Bewegung und Sport auch für sie integraler Bestandteil eines gelingenden Lebens werden kann.
YR: Wenn ich ein Bildungsstartup gründen würden, dann wäre das eine zentrale Stelle, die Menschen darin ausbildet Schulen dabei zu unterstützen, die vielfältigen schulexternen Angebote, die es ja schon gibt – siehe MEGA Projekte – in den Schulalltag zu integrieren.
Daran wird ja weiterhin in der aktuellen Academy tatkräftig gearbeitet. Danke für das Interview und weiterhin gutes Gelingen!