„Eine einzelne Lehrkraft kann so viel bewirken!“ – Im Interview mit Gebhard Ottacher
Im Interview mit Gebhard Ottacher, ehemaliger Geschäftsführer von „Teach For Austria“ (TOP3 Projekt im Rahmen der MEGA Bildungsmillion für Chancenfairness).
Teach for Austria setzt sich für Bildungsgerechtigkeit ein. Was kann Bildung bewirken?
Wir von Teach for Austria wollen, dass jedes Kind die Chance auf ein gutes Leben hat – unabhängig vom Einkommen oder Bildungsgrad der Eltern. Bildung kann viel kompensieren. Viele Kinder sind mit wenig ökonomischem, sozialem oder kulturellem Kapital geboren. Lehrkräfte können einen riesigen Unterschied machen, wenn sie die Kinder mit einem potenzialfokussierten Blick sehen. Daher setzt der Teach for Austria-Ansatz an der einzelnen Lehrkraft an.
Wie versucht Teach for Austria ungleiche Bildungschancen auszugleichen?
Unsere Fellows gehen im Rahmen eines sehr selektiven und anspruchsvollen Programms für zwei Jahre an Schulen, an denen viele Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien kommen. Wir legen großen Wert darauf, dass unsere Fellows, die frisch in diesen Beruf starten, potenzialorientiert und mit hohen Ansprüchen arbeiten. Denn als Lehrkraft vermittelst du auch immer, was das Kind alles erreichen kann. Das ist an unseren Standorten oftmals ein großes Hindernis im Lernen, da viele Schüler_innen bereits mehrfache Rückschläge im österreichischen Bildungssystem erlebt haben.
Warum entscheidet sich – einer Aussage von Dir folgend – die Zukunft unserer Gesellschaft, dort wo Kinder lernen?
Wo Kinder fachliches oder inhaltliches lernen, lernen sie auch über sich selbst und wie sie zu mündigen Bürger_innen in unserer Gesellschaft werden. Und das ist absolut wichtig!
Beim Teach for Austria-Programm gehen Quereinsteiger_innen in die Bildung. Du bist selbst Quereinsteiger und warst zuerst in der Wirtschaft tätig. Warum hast Du Dich entschieden, für eine Bildungsinitiative zu arbeiten?
Aus sehr persönlichen Gründen, die ich erst im Nachhinein verstanden habe. Meine Eltern haben keine Matura und ich wurde als Kind am Ende der Volkschule vom österreichischen Bildungssystem aussortiert. Mein Volkschullehrer hat mir das Gymnasium aufgrund meines rebellischen Verhaltens nicht zugetraut, obwohl meine Leistungen gestimmt haben. In der Hauptschule bin ich auf einen anderen Lehrer getroffen, der etwas anderes in mir gesehen und meine Potenziale entdeckt hat. So habe ich trotz meines Protests wieder in der 1. Klasse begonnen – aber dieses Mal am Gymnasium. Das hat mich auf ein anderes Gleis im Leben gelenkt, das mich am Ende bis nach Harvard geführt hat. Eine einzelne Lehrkraft kann so viel bewirken! Diese persönliche Erfahrung gibt mir die Energie an der Baustelle „Bildung“ mitzuarbeiten und etwas verändern zu wollen.
Welche Impulse und Benefits entstehen durch das Quereinsteigen der Fellows?
Wir hängen dieses Quereinsteigen nicht an die große Glocke, weil es nicht wesentlich ist. Kinder und Eltern sehen nur, wie die Lehrkraft arbeitet. Besonders vom Quereinstieg profitieren übrigens die Schulstandorte, da die Fellows Erfahrungen aus anderen Netzwerken mit- und einbringen – gerade auch im Bereich Berufsorientierung.
Hätte es Teach for Austria schon gegeben, wärst Du nach Deinem Studium Fellow geworden?
Das Auswahlverfahren für unsere Fellows ist sehr streng. Ich weiß nicht, ob ich es geschafft hätte, aber interessiert hätte es mich auf jeden Fall!
Welche Impulse hat Teach for Austria durch die MEGA-Förderung erhalten?
Eine ganze Menge! Einerseits hat es uns dazu gebracht, groß und systemisch zu denken – so wie die Stiftung auch. Das hat so einiges in Gang gesetzt und das ist gut und wertvoll. Andererseits bringt uns MEGA mit gleichgesinnten, innovativen Organisationen zusammen. Von diesem Austausch profitieren wir sehr.
Und sind daraus MEGA Momente entstanden?
Ja! Wir haben das Projekt OPENschool kennengelernt und festgestellt: 1+1=3. Ich hoffe, dass dadurch eine Kooperation für unsere Fellows, die länger an der Schule bleiben, entsteht und sich das OPENschool-Modell auf mehrere Standorte ausbreiten wird. Das wäre MEGA!
Was würdest Du Deinem Schüler-Ich raten?
Stelle dir die Frage, ob und wie man es auch anders sehen kann – egal bei welchem Thema. Ich denke, dass es extrem edukativ ist, die Perspektive zu wechseln und zu versuchen, die Perspektive des anderen auch zu verstehen. Das ist schwierig, aber eine unglaublich wertvolle Kompetenz im Leben.
Welche Visionen hast Du persönlich und hat Teach for Austria für die Bildungslandschaft in Österreich?
Unsere Vision, dass jedes Kind eine Chance auf ein gutes Leben hat, ist sehr groß. Wir glauben, dass Bildung eine große und wesentliche Rolle spielt, um diese Vision möglich zu machen. Das Einkommen und der Bildungsgrad der Eltern dürfen nicht über die Chancen von Kindern entscheiden. Ein Bildungssystem, in dem Chancengerechtigkeit herrscht, ist anders aufgebaut als das österreichische. Meine Vision ist, dass wir in einem ersten Schritt überhaupt als Gesellschaft darüber sprechen, ob wir Chancengerechtigkeit wollen und davon abgeleitet Maßnahmen ergreifen, um etwas zu verändern. Genau das ist in Finnland passiert – und es hat über zwanzig, dreißig Jahre gedauert. Diese Veränderung passiert nicht in einer oder zwei Legislaturperioden. Es dauert Jahrzehnte, aber es ist möglich. Wir haben die Vision 2050 gestartet. Bis 2050 wollen wir, dass unsere Vision für jedes Kind Wirklichkeit wird. Es braucht eine ganze Generation, die daran arbeitet. Das ist unser Antrieb!
*Das Interview ist im Rahmen des MEGA Meilensteins mit Gebhard Ottacher entstanden.