Die Diskrepanz zwischen Forschung und Praxis im Bildungsbereich
Autorin: Camilla Seilern, Leitung MEGA Academy & Projektportfolio
Ein Rückblick auf den MEGA Talk mit Psychologin und Buchautorin Verena Friederike Hasel
In einem exklusiven MEGA Talk für Schulleiterinnen und Schulleiter hat die Psychologin und Buchautorin (“Der tanzende Direktor” und “Das krisenfeste Kind”) Verena Friederike Hasel die Diskrepanz zwischen Forschung und Praxis im Bildungsbereich beleuchtet. Sie betonte, dass zahlreiche Erkenntnisse aus der Forschung bislang kaum Eingang in das Schulwesen gefunden haben. Hier sind drei Beispiele, die sie während des Talks präsentierte: Kleine Interventionen mit viel Wirkung!
1. Förderung sozio-emotionaler Fähigkeiten
Ein bemerkenswertes Beispiel, von dem Verena Friederike Hasel berichtete, ist die Technik des „Mentalen Kontrastierens“ im Unterricht. Diese Methode ermöglicht es den Schülern, sich ihre Ziele lebhaft vorzustellen und die Hindernisse auf dem Weg dorthin zu visualisieren. Studien haben gezeigt, dass Kinder, die diese Technik anwenden, signifikante Verbesserungen in ihren Schulleistungen aufweisen. In Ländern wie Finnland, wo die emotionale Entwicklung genauso betont wird wie die kognitive, ist der Einsatz solcher Methoden bereits etabliert.
2. Vermittlung des Wertes von Anstrengung
Ein weiterer wichtiger Aspekt, den Verena Friederike Hasel erläutert, ist die Notwendigkeit, den Wert von Anstrengung und Übung zu vermitteln. Statt anzunehmen, dass Talent angeboren ist, sollten Schülerinnen und Schüler ermutigt werden zu verstehen, dass Erfolg das Ergebnis harter Arbeit ist. In einem Beispiel aus Finnland beschreibt sie unter anderem die Methode, Schülerinnen ein Referat zweimal halten zu lassen. Nach der ersten Präsentation sei eine Feedback-Runde durch die Klassenkameraden wichtigster Bestandteil des Lernprozesses, denn in der zweiten Präsentation sei die Aufnahme und Umsetzung des Feedbacks stark im Fokus – eine Bewertung durch die Lehrperson fände erst im Anschluss statt und konzentriere sich stark auf die Fähigkeit der Schülerin, Feedback anzunehmen und umzusetzen. Anhand dieser und ähnlicher Methoden wird nicht nur positive Fehlerkultur geübt, es wird auch der Wert von Anstrengung greifbar vermittelt. In diesem Zusammenhang gibt es auch ein eigenes Schulfach namens „Lebensberatung“, das Schülerinnen und Schülern ermöglicht, u.a. Einblicke in verschiedene Berufe zu gewinnen und von den Erfahrungen und Herausforderungen anderer zu lernen, denn Studien zeigen, es lernt sich leichter, wenn man von Vorbildern wie Einstein oder Curie nicht nur die Genie-Erzählungen kennt, sondern auch etwas über ihre Herausforderungen hört und wie sie diese überwunden haben.
3. Stärkung der intrinsischen Motivation
Der dritte Punkt, den Verena Friederike Hasel angesprochen hat, bezog sich auf die Herausforderung, die intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler zu stärken, anstatt sie durch externe Belohnungen zu motivieren. Dabei bezog sie sich auf ein Experiment von Harry Harlow mit Affen, das verdeutlicht, wie die Einführung von Belohnungen das natürliche Interesse an einer Tätigkeit beeinträchtigen kann. Eine ähnliche Dynamik wurde in einer Studie an einer Schule beobachtet, bei der Kinder weniger motiviert waren zu malen, wenn ihnen eine Belohnung in Aussicht gestellt wurde.
Was bedeutet das für unser Schulsystem? Diese Erkenntnisse werfen ein Schlaglicht auf die dominierende Kultur der Bewertung und Belohnung in unseren Schulen. Obwohl alle Schülerinnen und Schüler gute Noten anstreben, fehlt oft die intrinsische Motivation, sich mit dem Unterrichtsstoff auseinanderzusetzen, wenn diese nur durch Noten belohnt werden. Das Streben nach guten Noten kann dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler ihre Lernaktivitäten auf die Erfüllung von Anforderungen reduzieren, anstatt echtes Interesse und Neugier zu entwickeln.
Um diesem Phänomen entgegenzuwirken, ist es entscheidend, Lehrmethoden und Bewertungssysteme zu überdenken, um die intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler zu stärken. Dies erfordert möglicherweise eine Verschiebung von der reinen Leistungsorientierung hin zur Betonung des Lernprozesses und der persönlichen Entwicklung. Indem Schülerinnen und Schüler ermutigt werden, intrinsische Belohnungen wie das Erforschen neuer Ideen, das Überwinden von Herausforderungen und das Erreichen persönlicher Ziele zu schätzen, können Schulen eine Umgebung schaffen, in der das natürliche Lerninteresse und die Motivation der Schülerinnen und Schüler gefördert werden.
Insgesamt hat Verena Friederike Hasel die Notwendigkeit verdeutlicht, die Lücke zwischen Forschung und Praxis im Bildungswesen zu schließen und innovative Ansätze zu implementieren, um die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler ganzheitlich zu fördern. Ihre Erkenntnisse boten wertvolle Einblicke für Schulleiterinnen und Schulleiter, um das Schulsystem kontinuierlich zu verbessern und den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden.
Autorin:
Camilla Seilern
Leitung MEGA Academy & Projekteportfolio